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DIE FRAUENKIRCHE - GEHT DENN DAS?


Um Erwartungen nicht zu enttäuschen, hier vorab die Auflistung jener Aspekte, die uns nicht interessieren sollen: Wir beschäftigen uns nicht mit den politischen, wirtschaftlichen und philosophischen Problemen. Wir gehen davon aus, dass die Rekonstruktion aus Spendenmitteln zu ermöglichen ist, wenngleich es mit den 288.570 Talern und 10 Groschen, die der Bau einst gekostet hat, wohl nicht getan sein dürfte. Wir akzeptieren die Auffassung von Architekten und Denkmalpflegern, dass der erhaltene und zu integrierende Teil das Denkmal darstellt, der Rest ein Neubau ist und spätere Generationen entscheiden können, ob die gesamte Kirche wieder zum Denkmal wird. Und wir akzeptieren die Auffassung, die eigentlich auch eine philosophische ist, dass der Wiederaufbau nur Sinn macht, wenn den Konstruktionsprinzipien des erzgebirgischen Ratszimmermeisters George Bähr gefolgt wird, also eine der herausragenden architektonischen und ingenieurtechnischen Leistungen des frühen 18. Jahrhunderts wieder ersteht.

Jeder Nachbau - z.B. mit sandsteinverblendetem Beton - wäre ein Potemkinsches Dorf und würde dann wirklich die Frage aufwerfen, ob nicht die Ruine als Denkmal mit einer leichten Stahlkonstruktion zur Markierung der Frauenkirche in der Silhouette der Stadt vernünftiger wäre. Zusammen mit dem Baudirektor der Stiftung Frauenkirche, Dipl.-Ing. Eberhard Burger, sind als Architekten eine Gruppe der IPRO Dresden unter der Leitung von Dr. Ing. Bernd Kluge, als Bauingenieure Dr.-Ing. Wolfram Jäger (Radebeul) und Prof. Dr.-Ing. Fritz Wenzel (Karlsruhe) mit ihren Mitarbeitern, als Prüfingenieur für Bautechnik Prof. Dr.-Ing. Jörg Peter (Stuttgart) sowie zahlreiche Spezialisten für die einzelnen Gewerke tätig.

DIE SCHADENSGESCHICHTE

Gerade bei einem Wiederaufbau nach den architektonischen Prinzipien George Bährs entsteht die Frage, um die es uns hier gehen soll: Geht denn das? Der Grund für die Frage liegt in der langen Schadensgeschichte des Monuments. Bereits während des Baus kommt es zu zahlreichen Auseinandersetzungen. Bezüglich der konstruktiven Prinzipien, wird die Frage erörtert, wie sich die Kuppellast abtrage, denn die Dicke der äußeren tragenden Kuppelschale beträgt immerhin 110 bis 175 Zentimeter. 1738, im Todesjahr George Bährs und fünf Jahre vor der Vollendung des Werkes, werden in einem Gutachten des Oberbauamtes Risse in den Pfeilern, Hauptbögen und Gewölben festgestellt, obgleich an den Fundamenten nicht die geringsten Schäden nachgewiesen werden können.

Wenige Jahrzehnte später erleidet die Kirche Erschütterungen bei einer Beschießung durch preußische Truppen und die folgende Untersuchung bestätigt erneut Schäden, die nicht allein von der Kanonade herrühren. 1924 fallen Steine von der Kuppel, und die Kirche wird von der Bauaufsicht gesperrt. In den Folgejahren werden geborstene Steine ausgewechselt, Pfeiler mit Flachstahl umgürtet. Doch bereits fünf Jahre nach der Wiedereinweihung im Jahr 1932 treten erneut schwere Schäden auf, die nunmehr sorgsam dokumentiert und beseitigt werden. Zwei Jahre nach der erneuten Wiedereinweihung dann die Katastrophe: 3.000 Tonnen Brand- und Sprengbomben fallen im Zweiten Weltkrieg auf die Stadt. Vorerst hält die Kirche stand, doch dann brennt das Gestühl. Die hohen Temperaturen zermürben den Sandstein. Sie bricht am 15. Februar 1945 in sich zusammen.

Und damit wird gleichzeitig ein weiteres Problem des Wiederaufbaus deutlich, denn zu den Zielvorstellungen gehört, so viel wie möglich von der alten Substanz, also die geborgenen Steine, wieder einzubauen. Dafür sprechen nicht nur denkmalpflegerische, sondern auch finanzielle Gründe, denn der Wert der inzwischen geborgenen und in Regalen gestapelten Steine dürfte eine zweistellige Millionensumme ausmachen. Insgesamt sind es 8.500 Steine aus der Fassade, 2.000 aus dem Altar- und Kanzelbereich und 90.000 aus den Hintermauerungen.

DAS KONZEPT GEORGE BÄHRS

1733 schrieb George Bähr: ,,...die gantze Figur dieser Kirche Presentieret eine gesetzte Piramide, weil nun ein solches gebäude, so in dieser Figur gefertigt wird, vielmehr Stärcke und Krafft zu tragen hat, als andere gebäude so perpenticular auff geführet werden, denn das Centrum gravitatis zertheilet sich sehr viel mahl, und verwehret daß ausschieben deß Cierkels, worzu den auch die 4 treppenthürme das Ihrige thun und den Inneren grundt der Cuppel welche auff denen 8 Pfeylem scheinet zu ruhen, so die Empohrenkirchen auch tragen, es sindt aber dise 8 Pfeyler ein Jeder mit zwey starcken Spieramen, von den Thürmen und Hauptmauer versehn, welche unter allen Empohr mit starcken Bögen zusammen gehangen, und mit starcken Anckern verwahret sein.“

Bähr hat also die acht Pfeiler durch starke und tragende Wände nach außen ergänzt und so Möglichkeiten geschaffen, in denen die Last abfließen kann. Und er schreibt weiter: „Daher gar nicht zu vermuthen, als ob dieses Werck, die Kuppeln mit Ladern und Piramide nicht ertragen würde, den Eine Krafft von mehr als 24 Pfeylern und nicht von 8 Pfeylern unterstützen dieses Werck.“

Die Untersuchung der Fundamente der Frauenkirche ergab denn auch folgerichtig, dass Bähr unter den von ihm Spieramen genannten Wänden starke - übrigens unbeschädigte - Fundamente ausführen ließ. Die Innenpfeiler waren, das wurde beim Beräumen der Trümmer deutlich, aus Steinen mit doppelter Höhe und wesentlich dünneren Fugen gemauert. Das erhöhte ihre Tragfähigkeit beträchtlich.

Wo lagen also Bährs Probleme? Die Ingenieurgemeinschaft, die sich mit dem Wiederaufbau beschäftigt, hat die Bährsche Konstruktion mit Hilfe modernster Rechentechnik untersucht, dabei Verfahren eingesetzt, die die Anisotropie des Mauerwerks und das nichtlineare Materialverhalten berücksichtigen. Die Ergebnisse wurden mit den Schadensbildern aus den zwanziger und dreißiger Jahren verglichen sowie mit den Resultaten der Materialprüfungen, die von der TU Dresden an alten Steinen vorgenommen wurden. Es erwies sich, dass besonders Materialproben mit den von George Bähr verwandten, in das Mauerwerk eingelegten Ankern aus Schmiedeeisen zu den Schäden geführt haben. Weder von ihrem Querschnitt noch von ihrer Verankerung und Dehnsteifigkeit her reichten sie aus, um die hier wirkenden Kräfte aufzufangen. Berechnungen belegten, dass bei besserer Qualität dieser Anker ein gleichmäßigerer Lastfluss entstanden wäre, der die Schäden verhindert hätte.

DAS HEUTIGE KONZEPT

Mit dieser Rehabilitation war die Suche nach dem Weg zur Rekonstruktion des Gebäudes klar. So wenig wie möglich sollte am ursprünglichen Plan des Baumeisters geändert werden, so gering wie möglich sollten optische und technische Neuerungen sein. Damit verbot sich eine Veränderung der Tragwerkskonstruktion, die die Last in erster Linie auf die acht Säulen legte, denn dies hätte umfangreiche Verstärkungen der Fundamente erfordert. Darüber hinaus hätte eine solche Lösung bestimmt zu sicherheitstechnischen Bedenken geführt, denn bei einem Versagen dieser Pfeiler - aus welchem Grund auch immer - wäre keine Reserve mehr vorhanden gewesen. Um sichtbare Spannanker im Raum zu vermeiden, entschied man sich für den Einbau eines polygonalen Rückhalteringes im Inneren der Kirche um den Kuppelbau. Durch Rückverhängung kann das Baugefüge horizontal unverschiebbar zusammengehalten werden. Die Bährschen Eisenanker werden durch spannbare Flachstahlanker ersetzt. Krafteinleitungskeile aus Stahlbeton sind die einzigen statisch-konstruktiv wirklich wichtigen Elemente, die dem Mauerwerk hinzugefügt werden, und diese machen weniger als ein Prozent des Sandsteinvolumens aus. Damit ist garantiert, dass Bährs Überlegung der gleichmäßigen Lastableitung in die Spieramen gesichert ist und Baugrundinjektionen nicht nötig sind. Ein weiterer Vorteil: Sowohl im Falle von Katastrophen wie auch während des Baus, also mit der sich ändernden Lastverteilung, kann diese Konstruktion nachgespannt werden.

ANDERE PROBLEME

Doch dies sind nicht alle Probleme, die sich beim Wiederaufbau ergeben. Vor der IPRO steht die Aufgabe, alle Fragen des Entwurfes zu klären, Planer, Architekten und Baufirmen der unterschiedlichsten Gewerke zu koordinieren, die Werksplanung der Sandsteinarbeiten durchzuführen und all jenes zu lösen, was mit der künftigen Nutzung der Frauenkirche zusammenhängt. Dafür wird ein von IBM bereitgestelltes Computersystem eingesetzt, das seinesgleichen sucht. Neben den Möglichkeiten der visuellen Darstellung gehört dazu auch die Dokumentation jedes einzelnen Steines, der geborgen wurde, seiner von Fachleuten erarbeiteten Bewertung und seiner Einordnung in das künftige Bauwerk. Bis zu 190 Einzelinformationen pro Stein sind gespeichert. Ein Mauerwerk in vier Klassen, entsprechend der unterschiedlichen Belastung, ist vorgesehen. So ist auch das Problem der Belastbarkeit der geborgenen Steine zu lösen. Aufgrund der statisch komplizierten Aufgabe müssen rund 70 Prozent der Steine neu gefertigt werden. In dieser Kombination von Hochtechnologie und traditioneller Steinmetzkunst wird der Versuch gewagt, eine wirklich handwerklich ehrliche Lösung zu finden.

Zu den Aufgaben gehören auch die Planung von Orchesterraum und Garderoben, der Medien und sanitären Einrichtungen sowie der Einhaltung heutiger Sicherheitsbestimmungen, z.B. hinsichtlich der Fluchtwege.

DAS ZIEL

Kurz nach der Jahrtausendwende soll die Innenkuppel stehen, also der Kirchenraum fertig und wieder benutzbar sein, und die Kirche geweiht werden. Fünf Jahre später, wenn Dresden sein Stadtjubiläum feiert, ist die Kirche einschließlich der Kuppel fertiggestellt. Ob sie später - von künftigen Generationen - wieder in ihrer Gesamtheit zum Denkmal erklärt wird, wird die Geschichte klären. Es wird davon abhängen, inwieweit die Frauenkirche als Sakral- und Kulturbau in der Einheit ihrer äußeren Hülle und ihrer Nutzung in das Bewußtsein nicht nur der Dresdner rückt und inwieweit sie zum unverzichtbaren Bestandteil dieser Stadt wird, denn die Unverzichtbarkeit ist ein wesentliches Kriterium für Denkmalwürdigkeit.

(1995)

Stiftung Frauenkirche

Spendenkonto: Dresdener Bank AG in Dresden

Konto-Nr. 4 594 885 00, BLZ 850 800 00

Frauenkirche

 

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